Wer Perlen finden will, muss bis zum Grund des Meeres tauchen.
Henri Helder, besser aber bekannt als Helder, stammt aus einer Eisenbahnerfamilie. Logisch, dass er auch bei der Eisenbahn arbeitet, aber das eigentlich nur, weil er schon immer gern Pläne schmiedet und zwar Fahrpläne. Das klappt bestens, wäre da nicht der GENERAL, ein Computerprogramm, das Helder die Arbeit abnehmen will. Als wäre das nicht genug, hat er auch noch Stress mit Susanne, denn die will nach Brüssel ziehen. Da kommt etwas Ablenkung doch gerade
recht, als er den Nachlass seines Großvaters erbt. Kein gewöhnliches Erbe und auch kein gewöhnlicher Großvater, denn das Erbe sind ein paar alte Lederschuhe mit einer geheimnisvollen Stickerei und der Großvater ist verschollen.
Diese beiden Tatsachen wecken die Neugier von Helder und er stellt
Nachforschungen an.
Seine abenteuerliche Reise startet der Mitte-Vierzig jährige von Cottbus, seiner bisher nie wirklich weit verlassenen Heimatstadt. Eine aufregende Zeit führt ihn über Australien, vorbei an der Bagdadbahn nach Anatolien-Türkei, San Francisco bis letztendlich nach Hawaii.
Bei seinen Nachforschungen nach Hans Kaspar Brügg, bekannt als Lavagänger, trifft er sehr skurrile Menschen. Bei einem Derwisch mit weißem Tiger, in einem Seidenraupenhaus, bei einem fliegenden Japaner und sogar bei einem König findet er Spuren von Brügg. Doch ein bedrückendes Gefühl in ihm verweist auf eine geheime oder gar verbotene Zone.
Helder befindet sich auf seinem Lebenshöhepunkt und ist etwas unsicher. Seine Nostalgie in unserer heutigen Gesellschaft lebt er jedoch völlig aus. Wer von uns hat denn noch ein Telefon mit Wählscheibe und genießt dann auch noch das Wählen. Gerade aber diese Tatsachen machen den Protagonisten sympathisch.
Außerdem hat der Autor Reinhard Stöckel ein unglaubliches Gespür für Sätze, die den Leser umgarnen. Die Sprache Stöckels ist zwar vorerst gewöhnungsbedürftig, doch schnell liest man sich in teilweise sehr verschachtelte Sätze ein. Gern ist man bereit, für diese wunderbar umschriebene Familiengeschichte und diese außergewöhnlichen,
schrägen Charaktere diesen exotischen Schreibstil anzuerkennen.
Reinhard Stöckel regt konstant die Fantasie des Lesers an und beschreibt zum Beispiel eine Fotografie wie folgt: „Der schneebedeckte Gipfel des Berges glich tatsächlich einer umgestülpten Schüssel oder eben dem Dach des Wartburgs, und seine bewaldeten Ausläufer waren sanft gewölbt wie Motorhaube und Kofferraumklappe.“
Weiterhin tritt der Erzähler ab und zu in einen Dialog mit dem zentralen
Charakter Henri Helder. Auch die nicht gekennzeichnete Wechselrede unter den Mitwirkenden wird geläufig. Verstickungen sind mit wichtigen Etappen der Vergangenheit und der Gegenwart gespickt und mit etwas Humor vermitteln sie dem Leser zusätzliches Wissen.
Um noch intensiver bei den Reisezielen Helders zu verweilen, gibt es im
Quellenverzeichnis hilfreiche Anhaltspunkte.
Für eine kurze Reise mit dem Zeigefinger über das Papier macht sich auch der Stammbaum am Ende des Buches sehr hilfreich. Dieser lässt alle im Roman benannten Personen noch einmal lebendig erscheinen.
Wer kein Geld zum verreisen hat, anspruchsvolle Literatur mag und für ein Abenteuer bereit ist, sollte zu „Der Lavagänger“ greifen.
Binea.
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