Dienstag, 19. Januar 2010

Die hässlichste Frau der Welt von Margrit Schriber




Gemütlich sitze ich im Kaminzimmer. Im Feuer des Kamins sehe ich Julia und Rosie la Belle tanzen, das Knacken des Holzes klingt dabei, wie die Peitsche des Impresario Theodor Fairchild Lent.

Julia Pastrana – die Bartfrau, eine Grand and Novel Attraction, die Affenfrau, die hässlichste Frau der Welt, das einzige Exemplar, Lents Exponat.

Rosie la Belle – Rösli von der Fronalp, ein Verdingkind, eine knospende Rose, eine bezaubernde, verführerische Burlesque-Tänzerin.

Das Leben ist ein Gang mit einer Auswahl von Türen. Es kommt darauf an, die richtige zu öffenen und an den falschen vorüberzugehen.

Rosie hat ihr zuhause verlassen, hat die Grenze, wo das Gebimmel der Geißen nicht mehr zu hören ist überschritten und wollte aus der Innerschweiz nach Amerika. Durch das Stranden des Trecks ist sie in England gelandet, dort Julia begegnet und in die offenen Arme von Lent, dem Tierbändiger, der immer auf der Suche nach Raritäten ist, gelaufen.

Lent kennt keine Grenzen, keine Gefühle, kein Ende – seine Zigarren leuchten bis zum Schluss immer wieder von Neuem auf.

Dennoch entzündet Mister Lent in den Augen beider Mädchen Funken. Sie lieben ihn, sie glauben an seine Liebe, sie hängen an ihm.

Lents Truppe tritt auf und ab. Jede Schau ist durchorganisiert. Nicht nur Millionen von Briten wollen unterhalten werden. Für viele Leute ist der Tag ein Elend. Beim Anblick von noch Elenderen finden sie Trost.

Lovely Julia Pastrana! Here she is!

Während ich ein Holzscheit nachlege, umzüngeln die Flammen meinen Finger und ich schreie innerlich kurz auf.
Der Schrei jedoch hallt durch das Kaminzimmer und verklingt nicht gleich, denn es ist der Schrei Rosies, der Angstschrei Rosies. Der Schrecken ist spürbar, den sie beim Anblick Julias empfindet und dieser kriecht mir den Rücken herunter. Ich stelle leise die Musik im Zimmer an und höre Julia singen.

Die Pastrana ist ein geschliffener Diamant. Die Pastrana sang, als gälte es, Steine zu erweichen, steht in allen Zeitungen.

Für Rosie war Julia Pastrana kein Monster. Julia war die Mutter, die sie nie gekannt, und die Tochter, die sie nie geboren hat. Verbunden durch eine tiefe Freundschaft wiegten sie sich wie das Pendel einer Uhr, in einem Takt.
Zwei Frauen wie Schatten und Licht, Schönheit gegen Versehrtheit. Die eine zeichnet die andere scharf.
Julia Pastrana und Rosie la Belle sind Gefährtinnen, ein Pendelschlag.

Rosie will ihr die letzte Ehre geben, den Wunsch, einen würdevollen Tod zu haben, erfüllen.

Im gleichen Tempo wie ich das Buch ablege, trete ich an den Rand des Felsen und werfe meinen ganz eigenen Kranz in die Tiefe.

Dieses Meisterwerk ist für mich eine Perle von Buch und wurde von einer Perle von Autorin – Margrit Schriber – geschrieben.

Dank einer Testleserunde bin ich mit der hässlichsten Frau in Berührung gekommen und lasse diese nicht mehr los. Während der Lesezeit wurde ich mit glücklichen Gefühlen durchströmt, konnte mich in warmer Umgebung niederlassen, gleichzeitig hatte ich innerliche Schmerzen und mir war ab und an eiskalt.

Margrit Schriber schreibt sachlich, deckt bewusst harte, nackte Fakten auf, umschnörkelt nichts, setzt geschickt verschiedene Erzählperspektiven ein und ruft damit die Emotionen, die tiefsten Empfindungen und Gefühle ihrer Leser hervor.

Wo auch immer Julia gerade ist, wo auch immer sie hinkommen wird, das Buch wie auch Rosie haben ihr die Würde gegeben, die sie verdient hat.

Bänder der Freundschaft werden und müssen immer bestehen und diese sind heilig!

Sehnsucht gibt den Füßen Flügel. Flieg mein kleiner Schmetterling, unser Glücksbringer.

5 Kommentare:

Arndt Stroscher hat gesagt…

Das ist es, was ich meine - Rezensionen sind erst dann Kunstwerke, wenn sie Deine Feder verlassen haben!

Arndt Stroscher hat gesagt…

Das ist es was ich meine. Eine Rezension wird erst zum Kunstwerk, wenn sie Deine Feder verlassen hat.

Kossi hat gesagt…

Huhuuu Binea, mein Kommentar passt jetzt nicht zu deinem Thema (ich vielleicht schon hihi)... aber ich wollte mich nur schnell bei dir "beschweren"!! Warum musste ich jetzt erst durch Twitter erfahren, dass du einen eigenen Blog hast?? Werde dich jetzt erst mal auf meine "da guck ich öfters mal rein"-Bookmarks packen!! :-)

LG,
Kossi

Arndt Stroscher hat gesagt…

Du hast Deinen Blogg sehr aufgehübscht!

Margrit Schriber hat gesagt…

Mein Buch leuchtet von Bineas Blogseite. Ich schaue voll Stolz und Dankbarkeit darauf. Die "Julia Pastrana" hat 150 Jahre nach ihrem Tod mehr Betrachter und bekommt mehr Aufmerksamkeit als je zuvor.